Eine Tochter geht Arm in Arm eingehakt mit ihrer pflegebedürftigen Mutter im Park spazieren

 

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Warum nicht um Hilfe bitten? 4 Fehlannahmen, die pflegende Menschen davon abhalten

Als pflegende Angehörige um Hilfe zu bitten, fällt oft schwer. Denn wer Hilfe braucht, scheint überfordert zu sein – oder? Dass Pflege allein und fehlerfrei gemeistert werden muss, beruht auf einem weit verbreiteten Irrglauben.
Warum ist es für Betreuende so schwierig, um Hilfe zu bitten? Susanne White hat einige Theorien, die aus ihrer eigenen Erfahrung stammen. Sie erklärt auch, warum es wichtig ist, dass Pflegepersonen diese tief verwurzelten Fehlannahmen bekämpfen und um Unterstützung bitten. 


Einer der häufigsten Ratschläge für pflegende Angehörige lautet: ‚Bitte um Hilfe. Dieser Tipp wird so oft gegeben, dass man meinen könnte, es wäre längst selbstverständlich. Und das aus gutem Grund – denn es ist ein wirklich wertvoller Rat!

Allerdings bitten nur wenige von uns Betreuern um die Hilfe, die wir dringend benötigen.

Ich habe mich auch immer geweigert, um Hilfe zu bitten, und habe deswegen gelitten. Weil es für die meisten betreuenden Menschen extrem schwierig ist, um Hilfe zu bitten. Tatsächlich ist „schwierig“ eine Untertreibung. Pflegepersonen können um Hilfe bitten als unangenehm, erniedrigend, unangemessen, belastend, peinlich oder kontraproduktiv empfinden.

Warum ist das so schwierig für diese Menschen? Und was steckt hinter dieser Isolation und Selbstständigkeit, auch wenn wir wissen, dass es uns schadet?

Warum fürchtete ich mich davor, zum Telefon zu greifen oder meine Familie und Freunde um Hilfe zu bitten?
Erst als ich mir die Situation genauer angesehen habe, erkannte ich, dass ich mein eigener schlimmster Feind war. Im Laufe der Zeit ging es mir endlich besser dabei, mit anderen zusammenzuarbeiten und nicht nur alles alleine zu machen.

Sehen wir uns an, was Betreuende motiviert, „alles alleine zu machen“, anstatt um Unterstützung zu bitten. Schließlich kann man nur einen positiven Beitrag zur Verbesserung leisten, wenn man das Problem kennt. Durch die Analyse der psychologischen Hindernisse können wir dann mehr pflegende Angehörige dazu ermutigen, um Hilfe und Unterstützung zu bitten.



Vier absurde und bedenkliche Fehlannahmen von Pflegepersonen und wie wir unser Denken neu ausrichten können

1: „Ich schaffe das alleine“

Dies ist die erste Barriere, wenn es darum geht, um Hilfe zu bitten. Wenn wir uns dazu verpflichten, jemanden zu pflegen, setzen wir uns auch unter Druck, unbesiegbar zu sein. Schließlich sind wir jetzt für das Wohlbefinden oder ggf. sogar für das Leben einer anderen Person verantwortlich. Es gibt keinen Raum für Fehler. 

Hier ist die Realität: Wir können niemals perfekt sein. Wir üben unnötigen Druck auf uns selbst aus, indem wir versuchen, nach Perfektion zu streben. Niemand hat uns darum gebeten, dies allein zu schaffen. Wir haben keinen solchen Vertrag unterzeichnet. Pflegearbeit alleine zu verrichten ist eine Option, aber nicht die Lösung. 

Wenn wir nicht bereit sind, Hilfe anzunehmen, machen wir uns anfälliger für ein Burnout. Gleichermaßen machen wir uns selbst zu Opfern, wenn wir die Unterstützung hartnäckig ablehnen. Unser Inneres sagt: „Ja, ich bin erschöpft und ich habe Angst, aber nur weil ich das und das mache ...“ 
Mit dieser Einstellung erreicht man keine Vorteile. Und auf lange Sicht kann es den Menschen schaden, die wir zu schützen versuchen. 

Wenn wir ehrlich mit Menschen sind, die ihre Zeit und Energie anbieten oder uns zuhören, investieren wir in uns selbst und das Wohlbefinden der Menschen, die wir betreuen. Wir tanken neue Kraft, gewinnen eine neue Perspektive und fühlen uns sogar etwas weniger verrückt! Unterstützung hilft.


2: „Mein Weg ist der einzige Weg“

Sobald wir einen Rhythmus bei der Pflege etablieren, schöpfen wir daraus Komfort und Konsistenz. Da wir bestrebt sind, die besten Wege zu finden, um uns um diejenigen zu kümmern, die wir lieben, entwickeln wir Strategien und verlassen uns stark auf sie. Wenn etwas funktioniert, klammern wir uns förmlich daran.

Die Dinge ändern sich jedoch und es gibt immer unterschiedliche Herangehensweisen. Wenn Sie es anderen Menschen gestatten, Vorschläge zu machen, finden Sie vielleicht unterschiedliche Wege, die Ihnen eventuell nützen. Wir stellen vielleicht fest, dass wir diejenigen sind, die es schon seit Jahren „falsch“ machen! 

Dennoch gibt es keinen richtigen oder falschen Weg, jemanden zu pflegen, und wir alle haben einzigartige und tolle Wege, um damit umzugehen. Wenn wir meinen, dass wir auf alle Fragen eine Antwort haben, ist das, ganz ehrlich, einfach nur lächerlich. Es hält uns davon ab, noch bessere Wege zu finden, die uns auf unserer Reise helfen könnten.


3: „Wenn ich nicht die Kontrolle habe, bricht alles zusammen!“

Dies ist eines der herausforderndsten Konzepte, die wir unbedingt loswerden müssen, weil es auf Angst und Sorgen zurückzuführen ist. Es ist wirklich schwer, das Wohlergehen der Menschen, die wir lieben und pflegen, anderen Menschen anzuvertrauen. Wir machen uns Sorgen, dass etwas Schreckliches passiert, wenn wir nicht alles kontrollieren können. 

Tatsächlich können wir nie wirklich irgendetwas kontrollieren und verhindern, dass das Leben seinen Lauf nimmt. Wenn etwas sein soll, wird es passieren, unabhängig davon, wer verantwortlich oder zuständig ist. Vielleicht ist jemand nicht so ‚engagiert‘ wie wir selbst, aber das heißt nicht, dass er oder sie unverantwortlich ist. Manchmal bedeutet ein Schritt zurück, dass man jemandem sogar bessere Pflege zukommen lassen kann. 

Wir müssen damit beginnen, unseren Freunden zu vertrauen, dass sie liebevoll und freundlich sind und gute Absichten haben. Erst dann können wir deren Hilfe annehmen und sehen, was für ein Segen diese Hilfe ist.


4: „Ich stehe schlecht da, wenn ich um Hilfe bitten muss“

Die Betreuungsarbeit ist anstrengend. Keiner von uns wird Vollzeit-Betreuungsarbeit nicht als Herausforderung empfinden. Dennoch gehen viele sehr hart mit sich selbst ins Gericht und machen sich viel zu viele Gedanken über die Meinungen anderer.

Man denkt, dass man nicht gut genug ist, wenn man um Hilfe bitten und sie annehmen muss. Das ist natürlich kompletter Quatsch! Niemand erwartet, dass sich jemand allein um andere kümmern kann. Die Betreuungsarbeit braucht immer ein ganzes Team. Jeder kann sehen, wie überwältigend die Arbeit sein kann. Niemand bildet sich Urteile über uns. Sie sind von der Komplexität unserer Umstände und unserer Fähigkeit, weiterzumachen, überwältigt. 

Wir müssen mit uns selbst genau so freundlich und behutsam umgehen, wie mit der Person, die wir pflegen. Wir sind immer sehr bemüht, unseren Liebsten die beste verfügbare Hilfe zu bieten, die es gibt, und wir müssen uns selbst genauso respektvoll behandeln. Auch wir brauchen die beste Pflege, die zur Verfügung steht.



Fazit

Selbstwahrnehmung ist der Schlüssel zu einer guten Pflegeerfahrung und einem erfüllten Leben. Wenn wir darüber nachdenken, warum wir glauben, dass wir keine Hilfe verdienen, können wir die Hindernisse überwinden, die uns im Weg stehen. 

Mit diesem Wissen können wir unsere verständlichen Ängste und Sorgen bewältigen. Wir können unsere Gedanken teilen, Dinge ins rechte Licht rücken und uns mit Menschen umgeben, denen wir vertrauen. Indem wir die Hilfe suchen, die wir brauchen und verdienen, können wir gesündere, glücklichere und ausgewogenere Pflegepersonen werden. 



Steckbrief Susanne White

 

Autorin: Susanne White

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