Ein Mann steht gedankenverloren in der Küche und macht sich Sorgen, wie er seine Aufgabe als Pflegeperson gut meistern kann.

 

Der tägliche Kampf


Angst, Erschöpfung, Versagen: Die drei größten Belastungen für Pflegepersonen

Marc Lawrence ist seit über fünf Jahren pflegender Angehöriger und kämpft täglich gegen drei Sorgen – Angst, Erschöpfung und Versagen. 


Ich pflege nun seit über fünf Jahren ein Familienmitglied, ein guter Zeitpunkt für eine persönliche Bestandsaufnahme.

Im Normalfall habe ich kaum Zeit, darüber nachzudenken, wie ich mich fühle oder was mich belastet. Jeden Tag geht es eigentlich nur darum, den Bedürfnissen der mir nahestehenden Person gerecht zu werden, mich um meine Tochter zu kümmern, den Haushalt zu erledigen und alles weitere zu bewältigen, was sonst noch so anliegt (und das, was manchmal aus dem Nichts auftaucht). Glücklicherweise bin ich die meiste Zeit nicht besonders gestresst oder besorgt, aber es gibt trotzdem fast rund um die Uhr Angstgefühle in meinem Bauch. Ich bin ständig am Rande von „Kampf oder Flucht“ und es erfordert viel Anstrengung, dieses Gefühl zu unterdrücken, damit ich meinem Alltag nachgehen kann. 

Ich habe mich inzwischen an dieses Gefühl gewöhnt, behaupte deshalb aber nicht, dass dies eine gesunde Art zu leben ist. Es raubt mir Energie und Motivation und bringt mich näher an einen gefürchteten Burnout, wenn ich ständig am Abgrund stehe. Im Rahmen meiner Selbstreflexion habe ich mir vorgenommen, die Ursachen meiner Angst genauer zu verstehen – in der Hoffnung, sie dadurch besser bewältigen zu können. Diesmal nehme ich mir die Zeit wirklich – ohne etwas zu verdrängen oder einfach weiterzumachen.

Oberflächlich gesehen gibt es viele Gründe, Bedenken zu haben. Die Welt scheint ständig vor etwas Angst zu haben, wenn man einen Blick in die Nachrichten wirft. Vor über fünf Jahren hat uns der Schlaganfall meiner Frau wirklich umgehauen. 

Aber ich habe mich mit verrückten Ereignissen (sowohl global als auch in meiner persönlichen Welt) mein ganzes Leben lang auseinandersetzen müssen, also möchte ich solche Ängste nicht als „ganz normal“ abtun. 

Wenn ich etwas tiefer gehe und meine verletzlicheren Gedanken ergründe, kann ich sehen, dass meine Angst im Wesentlichen ein Spiegelbild von drei Gefühlen ist: 

  • Angst 
  • Erschöpfung 
  • Versagen 

Genau diese drei Dinge. Auch wenn sie nicht die ganze Zeit da sind, begleiten sie mich schon ziemlich häufig. Ich habe gelernt, mit der nagenden Angst, die tief sitzt, und der ständigen Ermüdung umzugehen. Nun, „umgehen“ ist vielleicht nicht das richtige Wort. Akzeptieren? Tolerieren? 

Es ist klar, dass mir diese Gefühle als „mein Los im Leben“ mehr schaden, als guttun. 



Meine drei größten Belastungen als Pflegeperson

1. Angst – manchmal rational, manchmal auch nicht

Ich bin im Allgemeinen keine ängstliche Person. Oder vielleicht bin ich es doch und ich bin nur gut darin, das Gefühl zu unterdrücken. 

Jeder, der ein traumatisches Ereignis durchgemacht hat oder unter ungewöhnlichem – aber anhaltendem – Druck steht, wird Ängste erleben. Die Zukunft ist ungewiss, auch wenn ich jeden Tag das Gleiche mache. Ich kann nie loslassen oder sagen: „Jetzt ist alles gut“. Es ist so, als würde ich immer auf eine Katastrophe oder Enttäuschung warten. 

Es gibt viele Dinge, vor denen ich Angst habe, zum Beispiel: 

  • Was ist, wenn meine Frau einen weiteren Schlaganfall erleidet? 
  • Wird meine Tochter trotz allem eine starke, unabhängige Person? Oder ist alles zu viel für sie? 
  • Bleibe ich lange genug gesund, damit ich meine Frau weiterhin pflegen kann? 
  • Werde ich lange genug leben, um alles zu tun, was getan werden muss? 
  • Wird unsere Versorgung langfristig gesichert sein? 

Keine dieser Fragen erfüllt mich mit Angst, aber ich habe ständig ein Unwohlgefühl im Bauch. Je mehr ich versuche, das Gefühl zu unterdrücken, desto mehr steht es im Vordergrund. 

Ich meditiere (wenn auch nicht so oft, wie ich sollte). Ich praktiziere Achtsamkeit so oft wie möglich und stelle sicher, dass ich Dinge habe, auf die ich mich in der Zukunft freuen kann. Aber ich schaffe es nicht, der Angst ganz aus dem Weg zu gehen. 

Es hilft mir am meisten, die Angst zu erkennen und zu akzeptieren. Wenn ich merke, dass sie nicht durch zu viel Kaffee oder irrationale Gedanken verursacht wird, wie z. B.: „Was mache ich, wenn ein Meteorit in unser Haus einschlägt?“, mache ich eine kurze Pause. Ich atme tief ein, denke an etwas Positives und beruhige meine Nerven. 

Es ist nicht einfach. Aber es ist viel besser, wenn ich mir sage: „Du fühlst das, also nehme es an. Akzeptiere es. Dann kannst du es bewältigen.“, als wenn ich mir sage: „Ich mag das nicht! Ich möchte mich nicht so fühlen! Ignoriere es!“ 
Alles ist ein Prozess. 


2. Müdigkeit und Erschöpfung – immer da, schwer loszuwerden

Ich bin müde davon, ständig darüber zu klagen, wie müde ich bin. Ich habe mich nie wirklich an den unruhigen, unterbrochenen Schlaf gewöhnen können. Und wenn ich – wie so oft – mit einer Vielzahl von Stressfaktoren kämpfe, wird die Erschöpfung einfach überwältigend.

Allgemeine Schlafratgeber sind nicht hilfreich. Ich habe Ärzte, Kollegen und das Internet konsultiert, und die Tipps sind in der Regel immer die gleichen: 

  • Früher ins Bett gehen 
  • Mittagsschlaf machen 
  • Kamillentee trinken 
  • In einem anderen Zimmer als meine Frau schlafen 
  • Koffein und Alkohol vermeiden 

Diese Tipps sind an sich nicht schlecht, aber sie lösen meine Probleme leider nicht. Ich fühle mich dauernd so, als ob ich nicht genug geschlafen habe, und es ist schwierig, damit zurechtzukommen. Nichts kann mir dabei helfen, den Schlaf, den ich bereits verloren habe, nachzuholen. 

Ich gehe jeden Abend zur gleichen Zeit ins Bett (wenn auch sehr spät). Ich vermeide Koffein und Alkohol, bevor ich ins Bett gehe, und verwende ein CPAP*-Gerät (meistens) wegen meiner Schlafapnoe. Diese Praktiken helfen mir, genug Schlaf zu bekommen, um den Tag zu überstehen. Normalerweise mit einem kurzen Mittagsschlaf am Nachmittag. 

Wobei diese Praktiken nicht helfen, ist die emotionale Seite der Erschöpfung. Sie ist so real – und manchmal schlimmer – als die körperlichen Belastungen durch die Erschöpfung. Pflege bedeutet, dass ich rund um die Uhr im Arbeitsmodus bin. Ich bin immer in Bereitschaft, es gibt IMMER etwas zu tun, und jeder Tag hat ein „unerwartetes Ereignis“ von unterschiedlicher Umständlichkeit und Schwere zu bieten. Egal, wie sehr ich mich auch anstrenge, es ist nicht möglich, jeden Aspekt meines Lebens zu kontrollieren. 

Stattdessen versuche ich, es zu akzeptieren und es so gut wie möglich zu handhaben. Ich habe ständig das Gefühl, dass mir ein Burnout droht, also nutze ich jede seltene Gelegenheit, eine Pause einzulegen. 


3. Versagen – immer eine Gefahr

Ich sehe mich selbst als kompetente und fähige Person, und normalerweise mache ich mir keine großen Sorgen, gravierende Fehler zu begehen. Aber je älter ich werde und je mehr Angst und Müdigkeit an mir zehren, desto mehr fürchte ich, Fehler zu machen.

Pflege bietet reichlich Gelegenheiten, etwas falsch zu machen. Manchmal sind diese Fehler wirklich kein großes Ding, manchmal können sie aber lebensbedrohlich sein. 

Neulich sind wir alle im Auto zu einer der Schulveranstaltungen meiner Tochter gefahren. Als wir ankamen, war die Schule wie leergefegt. Als wir auf alle anderen warteten, ist mir eingefallen, dass wir eine Stunde zu früh da waren. 

Ups! Kein Problem. Wir haben alle gelacht und die Veranstaltung war ein Erfolg. Aber eine fiese kleine Stimme im Hinterkopf erinnerte mich daran, dass Fehler wie diese typisch für chronische Erschöpfung und Konzentrationsverlust sind. 

An diesem Tag war dieses Malheur keine große Sache, aber was wäre, wenn mir so etwas wieder passiert, wenn ich meiner Frau in die Badewanne helfe? Oder wenn ich ihre Medikamente bereitlege? Eine Über- oder Unterdosierung könnte katastrophale Auswirkungen haben. 

Konzentrationsverlust oder Unachtsamkeit sind für mich echte Risiken – auch wenn Fehler menschlich sind. Um dem entgegenzuwirken, kontrolliere ich meine Schritte sorgfältig, achte darauf, im Hier und Jetzt zu bleiben, und nutze Erinnerungen. Die medizinischen Geräte meiner Frau werden regelmäßig geprüft, und ich vermeide jede Gefahr, die uns schaden könnte. 

Was mir am meisten hilft: mir selbst mit Nachsicht zu begegnen, wenn etwas nicht wie geplant läuft. Ich kann nicht alles kontrollieren – manches liegt außerhalb meiner Macht. Und Fehler passieren. Wenn ich das Essen anbrennen lasse oder die Dusche meiner Frau ausfallen muss, weil ich mich wackelig fühle, dann verspreche ich mir: Ich werde mich dafür nicht verurteilen.

Mein Wunsch nach Perfektion macht es mir schwer, mit weniger zufrieden zu sein. Aber wer nie nachgibt, landet schnell in der Erschöpfung. Es ist Zeit, loszulassen. 



Durchhaltevermögen ist die Antwort!

Standhaftigkeit ist gute alte Willenskraft. Sie wird definiert als die geistige Stärke, Schmerzen, Widrigkeiten und Gefahren mit Mut zu ertragen.

Die Leute fragen mich regelmäßig, wie ich alle meine Pflichten schaffe. Meine Antwort war früher eher schnippisch „Nun, welche Wahl habe ich denn?“. 

Eine bessere Antwort wäre: „Im Laufe der Zeit habe ich mir viel Standhaftigkeit und Durchhaltevermögen antrainiert“. Die Dinge, mit denen ich im Laufe meines Lebens konfrontiert war, sind sicherlich nicht so traumatisch wie die im Leben einiger anderer Menschen. Jeden Tag verlieren Menschen alles bei Naturkatastrophen oder im Krieg. Sie verlieren Angehörige ohne Vorwarnung. Oder es wird eine chronische oder tödlich verlaufende Erkrankung diagnostiziert. 

Wenn ich mich müde, erschöpft und gestresst fühle, kann es schon schwer sein, das Glück im Leben anzuerkennen. Wir alle haben unsere bösen Geister, aber zu wissen, dass es vielen Menschen schlechter geht, macht meine Last auch nicht leichter. 

Umgekehrt ist mir klar, dass ich immer noch meine Frau und Tochter habe. Es geht mir gut genug, jeden Tag weiterzumachen. Und es gibt weniger vom Glück begünstigte Menschen, die meine Hilfe brauchen. 

Das Leben einer Person, die ein Familienmitglied betreut, gleicht einem Marathon. Es ist schwierig, die Sorgen einer anderen Person zu verstehen, wenn man nicht selbst in der gleichen Situation gewesen ist. Auch wenn Menschen, die Familienangehörige pflegen, ihr Leben nicht tauschen können, können wir andere über unsere täglichen Erwartungen und Verantwortlichkeiten aufklären. 

Man sollte nicht im Stillen leiden. Seien Sie ein proaktiver Mensch, der um Hilfe bittet, seine Bedürfnisse zum Ausdruck bringen kann und sich daran erinnert, durchzuatmen. Helfen Sie anderen, Ihnen zu helfen. Und noch einmal, vergessen Sie nicht zu ATMEN. 

 

* CPAP = Continuous Positive Airway Pressure / kontinuierlicher positiver Atemwegsdruck



Portrait Marc Lawrence, unkenntlich gemacht

 

Autor: Marc Lawrence

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