Demente Angehörige 


Wie geht man damit um, wenn ein geliebter Mensch einen nicht mehr erkennt?

Als meine Mutter die Diagnose Demenz erhielt, war ich nicht überrascht. Ich hatte ihre Verwirrtheit und „Vergesslichkeit“ bemerkt und mir wurde bewusst, dass wir ein ernstes Problem hatten. Trotzdem hatte ich Angst, als ich von ihrem Hausarzt zum ersten Mal diese Worte hörte. Mein Herz pochte wild und mein Magen sendete Schockwellen durch meinen ganzen Körper. Was würde das für sie bedeuten? Für uns? Wie sollte ich das kontrollieren und bewältigen? Könnte es jemals wieder normal werden?

Nach meiner ersten Reaktion beruhigte ich mich ein bisschen und konzentrierte mich darauf, alles zu tun, was ich konnte, um mehr über die Krankheit zu erfahren. Ich las, recherchierte und sprach mit anderen pflegenden Angehörigen. Ich habe versucht, mich auf die Zukunft vorzubereiten, aber es gab nichts, was ich tun konnte, und nichts, was ich lesen konnte, um uns vor dem unvermeidbaren Kummer zu bewahren. 


Langsames Entschwinden

Ich erinnere mich an das erste Mal, als Mama mich mit dieser Ausdruckslosigkeit in ihren Augen ansah – als ob ihre Seele weggewischt worden wäre. Ich wollte fast nach ihr rufen, als könnte ich sie so irgendwie wieder zu mir zurückholen. Es war unvorstellbar, dass jemand, den ich so gut kannte, mir immer fremder wurde und ich auch ihr. Für uns beide war dies eine unendliche Grausamkeit. Sie hat nicht verstanden, was ich zu ihr sagte oder wo sie war. Ich habe ohne Erfolg versucht, sie zu beruhigen. Es schien mir genauso unmöglich zu sein, mich selbst zu beruhigen.

Als sie sich immer weiter von uns entfernte, wurde mir eine sehr einfache Wahrheit bewusst. Ich merkte, wie sehr es mir am Herzen lag, was ich ihr bedeutete. Sie war schließlich meine Mutter. Jedes Kind will die bedingungslose Liebe seiner Mutter. 

Obwohl unsere Beziehung schon immer schwierig war, gab es das kleine Mädchen in mir, das die ungeteilte Aufmerksamkeit und Liebe seiner Mutter wollte. Als sie in eine Welt verschwand, in der ich nicht mehr vorkam, war ich am Boden zerstört. Wie würde ich damit fertig werden, wenn sie mich vergisst? 

Mein Vater hat dieses schmerzhafte Rätsel für mich gelöst – durch die Kraft seines Vorbilds. Er litt an einem anderen, aber ähnlichen Schmerz. Ich beobachtete ihn als er sie ansah und immer wieder leise seinen Kopf schüttelte. Wie ihm Kummer und völliger Unglaube ins Gesicht geschrieben war, dass er bei etwas so Schrecklichem zusehen musste. Als Kriegsveteran hatte er schon viele Schrecken in seinem Leben gesehen, aber diese Situation war unerträglich. 


Leben im Jetzt

Er begegnete dieser Krise mit der gleichen ruhigen Weisheit, die ihn sein ganzes Leben lang auszeichnete. Er begann, sich darum zu bemühen, die Vergangenheit loszulassen und einfach nur im Jetzt zu leben. Er fand Trost darin, einfach nur Zeit mit ihr zu verbringen. Das reichte ihm. Als sie ihre Fähigkeit verlor, die Welt, die sie zuvor geteilt hatten, zu verstehen oder Teil davon zu sein, schaffte er eine neue Welt. Eine, die nur im Jetzt existierte. 

Er setzte sich einfach mit ihr an den kleinen Küchentisch und aß Kekse, oder schaute mit ihr fern oder lief mit ihr zum Supermarkt oder spazierte zu einer Bank in den Park. Er stellte weder Fragen noch Anforderungen. Sie reagierte so positiv auf diese einfache und liebevolle Zuwendung. Seine Akzeptanz erlaubte es ihr, einfach nur zu sein. Seine Gelassenheit beruhigte sie und seine Liebe gab ihr Freude.

Ich versuchte, sein freundliches und sanftes Verhalten nachzuahmen und arbeitete hart daran, das Akzeptieren zu lernen. Das hatte nichts mit Egoismus zu tun, ich wollte nur meine alte Beziehung zu meiner Mutter zurück. Sogar das Streiten! 
Aber die Wahrheit war, dass sich unsere Beziehung für immer verändert hatte. 

Ich sagte mir, es ging nicht mehr um das, was ich brauchte, sondern um das, was sie brauchte. Das schmerzhafte Loslassen meiner persönlichen Bedürfnisse und Erwartungen half mir. Ich bemerkte, dass sich das Lächeln und Lachen meiner Mutter nicht verändert hatte. Und sie brauchte immer noch meine Liebe und Unterstützung. Es war egal, dass sie nicht wusste, wer ich war. Was zählte, war, dass ich zu einer Fremden werden konnte, bei der sie sich sicher und geborgen fühlte. 


Liebe ist ein Geschenk

Selbst wenn jemand, den wir lieben, unseren Namen und wer wir sind, vergisst, erkennt die Person trotzdem, dass wir sie lieben. Es spielt keine Rolle, wer die Liebe schenkt, die Liebe selbst ist das Geschenk. Es war nicht wichtig, wer ich war, sondern wie sich meine Mutter in meiner Gegenwart fühlte. Ich stellte fest, dass ich trotz meines gebrochenen Herzens noch so viel Liebe in mir trug. Meine Mutter hatte sie dort verankert! Es war eine Ehre, etwas davon zurückzugeben.



Steckbrief Susanne White

 

Autorin: Susanne White

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